Bleibt der gewünschte
Behandlungserfolg aus, ist die Haftungsklage durch den Patienten oftmals nicht
mehr weit.
Beliebter Einwand des Patienten
ist dann häufig die angeblich fehlerhafte oder gar unterlassene Aufklärung.
Triebfeder dieses Einwands ist in vielen Fällen sicherlich die für den
Patienten günstige Beweislastverteilung, denn:
Bei entsprechendem Einwand muss der Arzt die ordnungsgemäße Aufklärung nachweisen.
Gelingt ihm das nicht, sieht sich
der Arzt auch bei Behandlungen de lege artis dem Grunde nach zumindest einem
Schmerzensgeldanspruch ausgesetzt.
In dem durch das OLG Frankfurt am
Main (Urt. v. 26.03.2019, Az. 8 U 219/16) entschiedenen Fall traten ohne ein
Verschulden des operierenden Arztes postoperative Komplikationen auf. Der
Patient wandte daraufhin ein, er sei über die Wahrscheinlichkeit bestimmter
postoperativer Komplikationen nur unzureichend aufgeklärt worden. Die
Formulierung, derartige Komplikationen würden „vereinzelt“ auftreten, sei jedenfalls verharmlosend.
Das Gericht hingegen sah die
Aufklärung als ausreichend an. Bei einer (durch Sachverständigen)
festgestellten Eintrittswahrscheinlichkeit der postoperativen Komplikationen in
Höhe von ca. 20% könne nach dem allgemeinen Sprachgebrauch noch von „vereinzelt“gesprochen werden. Eine Verharmlosung liege nicht vor. Genaue
Prozentzahlen seien hinsichtlich des Behandlungsrisikos nicht mitzuteilen.
Prozentangaben müssen also im
Rahmen der Risikoaufklärung nicht angegeben werden. Dennoch sei anhand dieses
Beispiels erneut daran erinnert, dass eine gute Dokumentation Gold wert sein
kann.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 15.05.2019
eine wegweisende Entscheidung getroffen (B 6 KA 5/18 R).
Streitig
war nach Mitteilung des BSG, ob die Zulassungsgremien bei der Entscheidung über
die Vergabe eines Vertragsarztsitzes, der nach partieller Aufhebung von
Zulassungsbeschränkungen in einem bislang für Neuzulassungen gesperrten
Planungsbereich zusätzlich besetzt werden konnte, auch die Bewerbung eines
Medizinischen Versorgungszentrums berücksichtigen mussten, welche keine Angaben
zu dem anzustellenden Arzt, sondern lediglich die Beschreibung der
beabsichtigten Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots dieses MVZ enthielt
(sog Konzeptbewerbung).
Das
BSG teilte zwar nicht die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Regelung zu
„Konzeptbewerbungen“ im Nachbesetzungsverfahren (nach § 103 Abs. 4
Satz 5 Nr. 9 SGB V) bei Auswahlentscheidungen über die Besetzung eines nach
Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen zusätzlich zur Verfügung stehenden
Vertragsarztsitzes generell nicht anwendbar sei. Die Unterschiede zwischen
Nachbesetzungen einerseits und der Besetzung von zusätzlichen
Vertragsarztsitzen nach partieller Entsperrung andererseits stünden einer
entsprechenden Anwendung der Vorschrift auch in den zuletzt genannten
Zulassungsverfahren nicht entgegen.
Das
Ergebnis entsprach trotzdem dem Urteil des Landessozialgerichts, welches die
Klage abgewiesen hatte.
Das
BSG führt insoweit aus:
„Allerdings
können derzeit in beiden Konstellationen nur Bewerbungen von Medizinischen
Versorgungszentren oder Vertragsärzten berücksichtigt werden, in denen neben
dem geplanten Versorgungskonzept konkret der Arzt benannt wird, der auf dem
Vertragsarztsitz tätig werden soll. Zwar wollte der Gesetzgeber für MVZ und
Vertragsärzte die Möglichkeit eröffnen, sich auch ohne Benennung eines Arztes
nur mit einem Versorgungskonzept um einen zu vergebenden Vertragsarztsitz
bewerben zu können. Auf der Grundlage der derzeit geltenden Vorschriften sind
die Zulassungsgremien jedoch noch nicht in der Lage, dies umzusetzen. Hierfür
bedarf es zusätzlicher Regelungen, die bisher noch fehlen.
Mit
der Auswahlentscheidung zugunsten einer Konzeptbewerbung würde eine bislang
weder im SGB V noch in der Ärzte-ZV auch nur ansatzweise konturierte Sonderform
einer „arztlosen Anstellungsgenehmigung“ geschaffen. Diese müsste
später in einem weiteren Verfahren mit einer Anstellungsgenehmigung für einen
bestimmten Arzt ausgefüllt werden, wobei die Zulassungsgremien prüfen müssten,
ob der anzustellende Arzt nach seiner persönlichen Befähigung in der Lage ist,
den besonderen Versorgungsauftrag umzusetzen, mit dem sich das MVZ erfolgreich
um den Sitz beworben hat. Andere Bewerber um den freien Sitz müssen es unter
bestimmten Voraussetzungen hinnehmen, dass ein geringer qualifizierter Arzt auf
dem zu vergebenden Sitz tätig wird, wenn das im Rahmen eines vorzugswürdigen
Versorgungskonzepts erfolgt.
Dann
muss aber auch sichergestellt werden, dass das MVZ dieses Konzept zeitnah
umsetzt. Das erfordert u.a. Regelungen zu den Anforderungen an
Anstellungsgenehmigungen in Ausfüllung eines Versorgungskonzepts sowie
Bestimmungen zum weiteren Bestand oder Fortfall des Sitzes, falls das Konzept
nicht mehr verfolgt wird oder nicht realisiert werden kann, und schließlich
auch Regelungen zur Beteiligung der im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerber
an den nachfolgenden Verfahrensschritten.
Die
Ausgestaltung einer solch komplexen, z. T. grundrechtlich determinierten
Rechtslage kann nicht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgen; sie
muss aus kompetenziellen Gründen unter Beachtung der Gewaltenteilung durch den
Gesetzgeber bzw. den Normgeber der Ärzte-ZV vorgenommen werden. Die Grundrechte
der Träger von MVZ aus Art 12 Abs. 1 GG werden dadurch nicht verletzt.“
Jedes
MVZ muss sich vor diesem Hintergrund noch besser überlagen, wie es um das
„Rennen“ um Arztsitze einsteigt. Eine proaktive Gestaltung ist angezeigt.
Veröffentlicht von
Dr. Ralf Großbölting
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Justiziar des Bundesverbandes für Ambulantes Operieren
Mit Freude können wir vermelden, dass zu den von unserem Anwaltsteam betreuten Justiziariaten ärztlicher Berufsverbände ein weiteres hinzugekommen ist: Der Vorstand des Berufsverbands der niedergelassenen Kinderchirurgen e.V. (BNKD) hat unseren Kollegen Dr. Tobias Witte zum Justiziar bestellt.
Der BNKD e.V. vertritt die Interessen der Kinderchirurgen in eigener Praxis und ist somit dem Ausbau und der Sicherung der freien Berufsausübung seiner Mitglieder zum Wohle der Patienten im Kindes – und Jugendalter verpflichtet.
Wir gratulieren unserem Kollegen Dr. Witte und wünschen viel Erfolg bei der anwaltlichen Vertretung der Interessen des BNKD und seiner Mitglieder!
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mandantinnen und Mandanten,
nachdem das erste Quartal 2019 mit dem TSVG gleich mit einer großen Reform aufwarten konnte, werden sich im zweiten Quartal sicherlich bereits die ersten Auswirkungen des Gesetzes zeigen. So verspricht auch die Zukunft, in medizinrechtlicher Hinsicht spannend zu bleiben.
Jenseits von Praxis und Klinik nahte der Frühling in den letzten Wochen mit großen Schritten und nun steht fest: Das Osterfest ist da. Zeit, sich ein wenig in frühlingshafter Art und Weise mit der Familie zu erholen und die ersten Sonnenstrahlen zu genießen.
Nach Ostern informieren wir Sie an Ort und Stelle wieder in gewohnter Manier zuverlässig über alle für Ärzte und Zahnärzte relevanten Rechtsfragen.
Bis dahin wünschen wir allen viel Freude beim Eiersuchen und Fastenbrechen!
Auch das
Sozialgericht München (Entscheidung vom 06.03.2019
– S 38 KA 5009/19 ER) hat sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob und in
welchem Umfang ein MVZ einen Anspruch gegenüber der KVZ hat, einen
Vorbereitungsassistenten zu beschäftigen.
Die aktuelle Situation
war insoweit besonders, als dass ein MVZ in der Rechtsform der Gesellschaft
bürgerlichen Rechts die Genehmigung zur Beschäftigung eines Vorbereitungsassistenten
begehrte.
Schon seit einiger Zeit beschäftigt sich die Rechtsprechung mit diesem Thema, wie wir berichteten.
Das Gericht in München
führt aus:
„Auch ein vertragszahnärztlich zugelassenes MVZ besitzt einen Anspruch auf Genehmigung einer Vorbereitungsassistentin nach § 32 Abs. 2 S. 1 ZÄ-ZV i. V. m. § 3 Abs. 3 ZÄ-ZV und zwar unabhängig davon, welchen Status die in ihm tätigen Zahnärzte (eigene Zulassung und/oder angestellte Zahnärzte) besitzen. Einem MVZ, in dem nur angestellte Zahnärzte tätig sind, kann seine Ausbildereignung nicht abgesprochen werden.“
Die
Entscheidung reiht sich in eine Vielzahl von Urteilen ein, die den
antragsstellenden MVZ Recht geben. Wie das Bundessozialgericht sich
positioniert, wird abzuwarten sein. Hier ist eine Sprungrevision anhängig.
Nichtsdestotrotz sollten MVZ sich nicht vorschnell mit der Auskunft von Seiten der KZV begnügen, dass eine solche Genehmigung nicht erteilt werde. Im entschiedenen Fall hatte das MVZ sogar vor der (aus Sicht des MVZ zeitlich verzögerten) Entscheidung der Widerspruchsstelle das Gericht angerufen. Auch das hinderte das Gericht nicht daran, eine positive Aussage zu treffen.
Veröffentlicht von
Dr. Ralf Großbölting
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Justiziar des Bundesverbandes für Ambulantes Operieren
Das Bundessozialgericht hat am
13.02.2019 (B 6 KA 62/17 R) festgestellt, dass eine gleichzeitige Anstellung
auf einer halben hausärztlich-internistischen und einer halben fachärztlich-internistischen
Arztstelle nicht möglich ist.
Das sei mit der gesetzlichen
Zuordnung von Arztgruppen entweder zur hausärztlichen oder zur fachärztlichen
Versorgung nicht vereinbar. Jedenfalls könne ein Arzt im Rahmen seines
Anstellungsverhältnisses bei einem Arzt, bei einer Berufsausübungsgemeinschaft,
bei einem MVZ oder ein und derselben Zulassung nur entweder hausärztlich oder
fachärztlich tätig sein. Die Trennung von hausärztlicher und fachärztlicher
Versorgung bei Zulassungen oder Anstellungsgenehmigungen werde durch die
Einführung hälftiger Versorgungsaufträge nicht obsolet. Die Erfüllung der
besonderen Aufgaben von Hausärzten solle nach dem Willen des Gesetzgebers nicht
durch die Möglichkeit gleichzeitiger fachärztlicher Tätigkeit beeinträchtigt
werden.
Das Sozialgericht Hamburg hatte dies noch anders gesehen und geurteilt, dass aus der Unterscheidung von hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung und der Zuordnung von Arztgruppen zu einem der beiden Versorgungsbereiche kein gesetzliches Verbot folge, eine Ärztin/einen Arzt jeweils zur Hälfte in beiden Versorgungsbereichen zu beschäftigen. Im fachübergreifenden MVZ der Klägerin dürften Patienten ohne Weiteres hausärztlich-internistisch und fachärztlich-internistisch versorgt werden. Die mit der Anerkennung hälftiger Versorgungsaufträge durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz bezweckte Flexibilisierung der beruflichen Betätigung gehe der Trennung beider Versorgungsbereiche vor.
Diese Entscheidung wurde nun
aufgehoben, die Zulassungsgremien haben die seinerzeitigen Anträge des MVZ
mithin zu Recht abgelehnt.
Veröffentlicht von
Dr. Ralf Großbölting
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Justiziar des Bundesverbandes für Ambulantes Operieren
Alle zwei Jahre versammelt sich alles, was im Dentalmarkt Rang und Namen hat, in Köln: Die IDS findet statt – die Weltleitmesse der Dentalbranche. Mit 2.327 Unternehmen aus 64 Ländern blieben für den zahnheilkundlich Interessierten keine Wünsche offen.
KWM war mit einem Team bestehen aus vier Anwälten vor Ort: Björn Papendorf, LL.M., Dr. Karl-Heinz Schnieder, Björn Stäwen, LL.M. und Dr. Tobias Witte erkundeten die Neuerungen aus der dentalen Welt. Dabei war es uns eine große Freude, viele Mandanten und Kooperationspartner wiederzusehen sowie auch ganz neue Gesichter kennenzulernen und die teils über Jahre gewachsenen Bekanntschaften zu pflegen.
Im Zentrum der IDS standen in diesem Jahr sicherlich zwei große Themen: Das Aufkommen der Investoren im Dentalmarkt sowie die weiter fortschreitende Digitalisierung. Hier war es spannend zu lauschen, wie die Player aus der dentalen Welt mit den neuen Herausforderungen, aber auch Chancen jeweils auf ihre Weise umgehen wollen. Dass KWM gerade auch bei diesen Themen in großem Umfang beratend und rechtsgestaltend mitwirkt, steht dabei außer Frage.
Wir freuen uns bereits jetzt auf die nächste IDS – auch 2021 werden wir in Köln vor Ort sein, um dem Dentalmarkt auf den Puls zu fühlen.
Die
Approbation ist die Grundlage jeder ärztlichen Tätigkeit. Wird diese entzogen,
ist auch der beruflichen Tätigkeit und damit der wirtschaftlichen Existenz des
betroffenen Arztes den Boden entzogen. In der Bundesärzteordnung (BÄO) sind die
verschiedenen Gründe gesetzlich festgeschrieben, aus denen eine Approbation
widerrufen werden kann. Die klassischen Widerrufsgründe sind dabei zum einen
die Unwürdigkeit oder die Unzuverlässigkeit des Arztes oder gesundheitliche
Probleme, die die Untauglichkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs nach sich
ziehen.
Ein
Klassiker beim Widerruf der Approbation aufgrund einer Unwürdigkeit zur
Ausübung des ärztlichen Berufs ist die Begehung eines Abrechnungsbetrugs.
Die
Begehung von Straftaten, wie der eines Abrechnungsbetrugs, kann ein zur Unwürdigkeit führendes Verhalten darstellen, wenn die
Straftat
einen
schwerwiegenden Verstoß gegen Berufspflichten darstellt oder
einen
behandlungsrelevanten Aspekt aufweist oder
ein
schweres Delikt auch außerhalb des beruflichen Wirkungskreises darstellt.
Begeht
ein Arzt ein Vermögendelikt, wie einen Abrechnungsbetrug zulasten der
Krankenkassen / Kassenärztlichen Vereinigungen, dann begründet dies nicht
zwangsläufig und automatisch die berufliche Unwürdigkeit, stellt aber in jedem
Fall einen „schwerwiegenden Verstoß gegen Berufspflichten des Arztes“ dar.
Dabei reicht ein Abrechnungsbetrug mit erheblichem Schaden aus, um die
Approbation gerichtsfest zu entziehen (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 19.01.2011,
Az.: 5 A 96/09; bei BayVGH, Beschluss vom 11.05.216, Az.: 21 ZB 15.2776).
Dass
sich hier pauschale Aussagen jedoch verbieten, zeigt ein brandaktuelles Urteil
des Verwaltungsgerichts Hamburg (Urteil vom 23.01.2019, Az.: 17 K 4618/18):
Die
Freie und Hansestadt Hamburg widerrief im Februar 2018 die Approbation eines
Arztes, der seit Mitte der 90er Jahre Chefarzt der kardiologischen Abteilung
eines Hamburger Krankenhauses war. Innerhalb von vier Jahren hatte dieser
Chefarzt im eigenen Namen im Rahmen seiner Ambulanz Leistungen zur Abrechnung
gebracht, die nicht er selbst, sondern andere nachgeordnete Ärzte aus seinem
Team erbracht hatten. Die Folge war ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren,
in dessen Folge der Arzt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf
Bewährung und zu einer Geldbuße in Höhe von 100.000 EUR verurteilt wurde.
Die Ärztekammer prüfte den Fall ebenfalls, beließ es aber dabei und verhing
keine weiteren Sanktionen.
Nach
Strafverfahren und kammerrechtlichem Verfahren schließt sich regelmäßig in den
Fällen größeren ärztlichen Fehlverhaltens das approbationsrechtliche Verfahren
an, das in aller Regel von den Bezirksregierungen geführt wird. In dem Fall des
kardiologischen Chefarztes hatte die Approbationsbehörde in Hamburg kurzerhand
den Widerruf der Approbation angeordnet. Der Abrechnungsbetrug, der auch durch
den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft nachgewiesen worden sei, sei
systematisch geschehen und über viele Jahre hinweg, sodass eine ärztliche
Unwürdigkeit vorliege.
Dagegen
klagte der Chefarzt mit Erfolg. Zuvor hatte er sich in den anderen Verfahren
vollständig kooperativ gezeigt und insbesondere auch gegenüber der
Kassenärztlichen Vereinigung dem von ihm verursachten Schaden vollständig
beglichen. Das Verwaltungsgericht Hamburg hängte die Hürden für
Approbationsbehörden, die die Approbation widerrufen wollen, in der Folge
nochmals höher:
Insbesondere
sei das Verhalten des Chefarztes hier nicht bloßes Gewinnstreben gewesen, auch
zeige es keinen gewissenlosen Umgang des Arztes mit den Geldern der Kassen. Vor
allem aber sei dieser Fall, bei dem es im Kern um den Grundsatz der
persönlichen Leistungserbringung geht, gleichsam weniger schwerwiegend, da hier
nur Routineaufgaben rechtswidrig delegiert worden seien, nicht aber ärztliche
Hauptleistungen. Dass ein Chefarzt in größerer Form an sein Team im
Klinikalltag delegiere, mindere im Ergebnis die Vorwerfbarkeit.
Dieses
Urteil ist einigermaßen überraschend, da zuvor bei Betrugstaten im Zusammenhang
mit der ärztlichen Tätigkeit fast automatisch ein Widerruf der Approbation
erfolgt ist. Hierzu hielt beispielsweise der Bayrische Verwaltungsgerichtshof
mit Beschluss vom 11.05.2016 fest:
„Die korrekte Abrechnung
der ärztlichen Leistungen […] gehört zu den Berufspflichten eines Arztes. Die
Gefährdung der finanziellen Basis der Kassen durch betrügerische
Falschabrechnungen in großem Umfang ist eine gravierende berufliche Verfehlung,
die ohne Weiteres zur Berufsunwürdigkeit führen kann. Eines zusätzlichen
„behandlungsrelevanten Aspekts“, […] bedarf es insoweit nicht.“
Das
Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg ist richtig und wichtig, da es
Approbationsbehörden, die nicht selten ohne eigene Prüfung des Sachverhalts
gleichsam automatisch den strafrechtlichen Feststellungen folgen, den Wind aus
den Segeln nimmt. Hier zeigt sich eine generelle Tendenz:
2016
hatte das Verwaltungsgericht Halle ebenfalls entschieden, dass
Verwaltungsbehörden einen Sachverhalt eigenständig rechtlich bewerten müssen
und nicht die strafrechtlichen (und damit von anderen rechtlichen
Voraussetzungen ausgehenden) Feststellungen unkritisch übernehmen dürfen (vgl.
VG Halle, Urteil vom 14.04.2016, Az.: 5 A 2/15 HAL). Diese Rechtsprechungstendenz
(siehe auch das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 10.01.2019 – Az.: 5 K
4827/17) muss dazu führen, dass Approbationsbehörden in Zukunft jeden
Einzelfall autonom prüfen und gerade bei unbestimmten Rechtsbegriffen, wie
demjenigen der ärztlichen „Unwürdigkeit“, ganz genau hinschauen, ob die
individuelle Vorwerfbarkeit im Einzelfall zum Entzug der beruflichen Existenz
ausreichend ist.
Veröffentlicht von
Dr. Tobias Witte
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, zertifizierter Datenschutzbeauftragter und Justiziar des BNKD e.V.
Das Sozialgericht Kiel
hat mit Entscheidung vom 06.02.2019 einer radiologischen
Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) Recht gegeben und zwei Regress-Bescheide des
Beschwerdeausschusses über mehr als 150.000,00 Euro ersatzlos aufgeboben.
Um was ging es?
Gegenstand des
Verfahrens war eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten im Wege
einer statistischen Vergleichsprüfung für die Abforderung von Kontrastmitteln
als Sprechstundenbedarf (SSB).
Das Gericht führte
aus, dass eine von den beklagten Prüfgremien so vorgenommene Prüfung ganz
grundsätzlich nicht möglich sei, da kein repräsentativer Vergleichsmaßstab im
Sinne eines Fallwertes oder eines wirtschaftlichen durchschnittlichen
Verbrauchs in ml pro Versichertem bestimmbar ist.
Die klagende BAG hatte
in zwei Jahren SSB i. H. v. ca. 2,4 Mio. Euro abgefordert, was bei ca. 70.000
Fällen einen Fallwert von ca. 33 Euro mit sich brachte. Der Fallwert der
Fachgruppe hingegen lag lediglich bei ca. 15 Euro.
Die Prüfungsgremien
berücksichtigen zwar einige Praxisbesonderheiten (Mehraufwand für MRT und CT
entsprechend der überdurchschnittlichen Abrechnung von CT bzw. MRT-Leistungen),
nahmen aber im Übrigen eine Kürzung auf den Fachgruppendurchschnitt zuzüglich
60 % vor.
Die Begründung des Gerichts
Das Gericht wies
darauf hin, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der Abforderung von
Sprechstundenbedarf nach Durchschnittswerten im Wege einer statistischen
Vergleichsprüfung bei einer fachübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft
einer besonderen intellektuellen Betrachtung bedarf. Insbesondere erweise sich aber
die schematische Vorgehensweise als denklogisch fehlerhaft und rechtswidrig.
Die ureigenste
Grundlage der Prüfung nach Durchschnittswerten ist ein repräsentativer
Durchschnittsfallwert. Ein solcher liegt vor, wenn die Gruppenmitglieder
derselben Fachgruppe angehören und auch im Übrigen vergleichbar sind. Wenn eine
Berufsausübungsgemeinschaft aus Vertragsärzten derselben Fachgruppe besteht,
dann ist die statistische Vergleichsprüfung auf der Grundlage des
durchschnittlichen Verbrauchsfallwertes für SSB dem Grunde nach eine geeignete
Prüfung auch für Berufsausübungsgemeinschaften. Wenn jedoch die
Berufsausübungsgemeinschaft aus Ärzten verschiedener Fachrichtungen besteht,
dann wirkt sich deren Verbrauchsverhalten für Sprechstundenbedarf anders auf
den Fallwert der Betriebsstätte insgesamt auf als wenn die Ärzte nur einer
Fachrichtung angehörten.
Ebenso wirkt es sich
auf den rechnerischen durchschnittlichen Fallwert einer gebildeten Vergleichsgruppe
unterschiedlich aus, ob die Mitglieder dieser Vergleichsgruppe derselben
Fachrichtung angehören – und somit fachlich homogen und daher in ihrem
Verbrauchsverhalten für SSB nahezu homogen sind – oder die Mitglieder der
Vergleichsgruppe unterschiedlichen Fachrichtungen angehören – und somit
fachlich und in ihrem SSB-Verbrauchsverhalten nicht homogen sind. Wenn – wie in
diesem Fall – Radiologen typischerweise einen relativ hohen Verbrauch an – so
definierten – SSB-Materialien haben und andere BAG-Mitglieder, z. B.
Gynäkologen oder Orthopäden einen signifikant niedrigeren Verbrauchsfallwert im
SSB generieren, dann senken letztere den Fallwert der BAG, den die Radiologen
hätten, wenn sie allein tätig wären.
Wenn bereits eine
solche BAG durch die fachübergreifende Zusammensetzung mathematisch einen
niedrigeren Betriebsstätten-Fallwert erzielt, dann wirkt es sich natürlich auch
auf den Fallwert der gebildeten Vergleichsgruppe aus, wenn in diese
Vergleichsgruppe mehrere BAGs aufgenommen und ausgewertet werden, in der nicht
nur Radiologen tätig sind, sondern auch andere Fachärzte. Diese
Vergleichsgruppe ist dann nicht mehr denklogisch fachbezogen und in ihrem
Verbrauchsverhalten für SSB homogen.
Wenn diese
Vergleichsgruppe gleichwohl gebildet wird, dann bedarf es einer kritischen
Würdigung, ob der rechnerisch ermittelte Durchschnittsfallwert auch bei einer
wertenden Betrachtung unter medizinischen Gesichtspunkten repräsentativ ist.
Das kann, muss aber nicht, dann der Fall sein, wenn die Fallwerte bei einer Einzelbetrachtung
der jeweiligen Fachgruppen für sich betrachtet annähernd gleich sind. Wenn
jedoch die Fallwerte bei Einzelbetrachtung – wie hier der Radiologen und
beispielsweise der Gynäkologen – signifikant unterschiedlich hoch sind, dann
ist die Gruppenbildung kritisch zu hinterfragen und der rechnerisch ermittelte
Fallwert nicht repräsentativ.
Methodisch fehlerhaft
und in der Begründung defizitär war zusätzlich auch, dass der beklagte
Beschwerdeausschuss nicht hinterfragt hat, ob die Abforderung von Kontrastmittel
– nicht nur vor dem Hintergrund eines repräsentativen Fallwertes der
Vergleichsgruppe – überhaupt einem statistischen Vergleich nach
Durchschnittswerten zugänglich ist oder nicht. Der Beklagte hat weder
hinterfragt noch ausgeführt, inwiefern der ermittelte Vergleichswert überhaupt
geeignet ist, einen durchschnittlichen Verbrauch von Kontrastmitteln pro
Versichertem abzubilden. Diese intellektuelle Prüfung nach medizinischen
Gesichtspunkten wäre jedoch notwendig gewesen.
Es sei zur Überzeugung
des Gerichts jedoch nicht möglich, die durchschnittlichen Verbrauchskosten pro
Versichertem festzustellen, die gleichzeitig als Maßstab für das medizinisch
notwendige Verordnungsverhalten in einer Wirtschaftlichkeitsprüfung
herangezogen werden kann. Denn nicht jede MRT-Leistung benötigt – wenn
verwendet – eine gleich hohe Menge an Kontrastmittel.
Auch die
Verbrauchskosten pro Versichertem für die Untersuchungen mit obligatem
Leistungsbestandteil können nicht auf Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Dazu
müsste ermittelbar sein, welcher Anteil der verbrauchten und ersatzbeschafften
Kontrastmittelmenge als Sprechstundenbedarf für diese Leistungen mit obligatem
Einsatz von Kontrastmitteln eingesetzt wurde und welcher Anteil demgegenüber
für die Leistungen mit fakultativem Leistungsanteil übrig bleibt. Eine solche
Ermittlung ist nicht mit der für die Bildung eines Durchschnittswertes
erforderlichen Präzision möglich. Er kann mathematisch nicht ermittelt werden
und müsste daher selbst erst mittels einer Schätzung festgelegt werden. Dann
müssten für diesen Schätzwert die Streubreite, die Übergangszone und die Grenze
zum offensichtlichen Missverhältnis festgelegt werden. Einer solchen
Vorgehensweise fehlt jegliche mathematisch zuverlässige Grundlage. Sie kann
nicht Grundlage einer Wirtschaftlichkeitsprüfung mit Regress sein.
Überdies können nicht
nur nicht die durchschnittlichen Verbrauchskosten an Kontrastmitteln
mathematisch zuverlässig ermitteln werden, sondern auch nicht der
durchschnittliche Verbrauch an Kontrastmittel in ml pro Versichertem. Das würde
voraussetzen, dass alle Radiologen der Vergleichsgruppe dasselbe Kontrastmittel
mit derselben Molarität verwenden (was jedenfalls seinerzeit nicht der Fall
war).
Veröffentlicht von
Dr. Ralf Großbölting
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Justiziar des Bundesverbandes für Ambulantes Operieren