Das Sozialgericht München hat sich mit Gerichtsbescheid v. 21.01.2021 – S 38 KA 165/19 zu der Frage geäußert, welche besonderen Pflichten der (zahn)ärztliche Leiter eines MVZ haben kann und auch persönlich verantworten muss.
Der Fall
Gegen den klagenden
MVZ-Leiter wurde eine Geldbuße in Höhe von 8.000 € zuzüglich einer Gebühr in
Höhe von 900 € verhängt. Grund für diese disziplinarrechtliche Maßnahme war ein
Plausibilitätsverfahren gegen das MVZ (verbunden mit einem Regress i. H. v. ca.
70.000,00 Euro) wegen Patientenidentität mit einem anderen MVZ.
Der Kläger habe, so das Gericht, die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verletzt. Es gebe viele gemeinsame Patienten. Des Weiteren sei es zu einer Mehrung der Fallzahlen und einer Mehrung der Leistungen gekommen. Bei zwei versorgungsbereichsidentischen MVZ´s liege das Aufgreifkriterium bei 20% Patientenidentität. Überweisungen von einem MVZ in das andere seien in vielen Fällen medizinisch nicht nachvollziehbar. Festzustellen sei eine rechtsmissbräuchliche Doppelbehandlung (zum Beispiel psychotherapeutische Behandlung am selben Tag). Es wurden Pauschalen beider Fachgruppen in Ansatz gebracht. Außerdem sei ein gemeinsames Einlesen der Versichertenkarte festzustellen.
Der Hintergrund und die Begründung
Das Gericht führte in Bezug auf die Verantwortlichkeit des ärztlichen Leiters aus, dass diesem eine besondere Pflichtenstellung hinsichtlich des ordnungsgemäßen Ablaufs der vertragsärztlichen Versorgung im MVZ zukommt und er die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der K(Z)V hat.
Dem MVZ steht ein
ärztlicher Leiter vor, der seinerseits entweder als angestellter Arzt oder als
Vertragsarzt im MVZ tätig sein muss (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2011, Az B 6 KA
33/10 R).
Das Rechtsinstitut des
MVZ bietet den angestellten Ärzten nicht nur den Vorteil, dass sie anders als
ein zugelassener Vertragsarzt kein unternehmerisches Risiko tragen und zu
vertraglich festgelegten Arbeitszeiten tätig sind, sondern auch, dass für sie
technisch-administrative Aufgaben entfallen. Wie das Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 24.02.2016, Az L 11 KA 58/15 B ER) ausführt, korrespondiert der
Verminderung der Verantwortung des einzelnen Arztes „die volle Verantwortung
des MVZ für die korrekte Organisation der Behandlung und für die
Leistungsabrechnung“. Hierbei handle es sich um den Kern der Aufgaben des MVZ.
Diese Aufgaben des MVZs werden in personam des ärztlichen Leiters wahrgenommen.
Dementsprechend ist eine Abrechnungssammelerklärung fehlerhaft, wenn sie vom
ärztlichen Leiter nicht unterschrieben ist. Er garantiert auch mit seiner
Unterschrift, dass die Abrechnungen ordnungsgemäß, d. h. auch vollständig
entsprechend der Leistungslegende erbracht wurden. Daraus folgt, dass der
ärztliche Leiter letztendlich die Gesamtverantwortung
gegenüber der KV für die von den angestellten Ärzten erbrachten Leistungen
trägt.
Nachdem das MVZ nicht
Mitglied der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung wird, sondern nur
natürliche Personen (vgl. § 77 Abs. 3 SGB V), unterfällt es auch nicht der
Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung. Disziplinarmaßnahmen können
i.d.R. nur gegenüber Mitgliedern der KV verhängt werden. Aufgrund dieser
Zusammenhänge und, da ein ärztlicher Leiter entweder angestellter Arzt im MVZ
oder Vertragsarzt ist, ist ein
disziplinarrechtlicher Durchgriff auf ihn nicht nur zulässig, sondern auch
notwendig (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.01.2016, Az
L 12 KA 69/14).
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Leistungen seien vom ärztlichen Leiter nicht erbracht worden, sondern von den angestellten Ärzten. Zwar sind auch angestellte Ärzte im MVZ Mitglieder der KVB, sodass Pflichtverstöße auch ihnen gegenüber disziplinarrechtlich verfolgt werden können. Aufgrund der Gesamtverantwortung des ärztlichen Leiters eines MVZs, die auch die Richtigkeit der Abrechnung mit umfasst, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, vorrangig disziplinarrechtlich gegen angestellte Ärzte im MVZ und allenfalls subsidiär gegen den ärztlichen Leiter vorzugehen, auch wenn diese die Leistungen nicht entsprechend der rechtlichen Vorgaben erbracht haben sollten. Das Einstehenmüssen entspricht auch der herausgehobenen Stellung des ärztlichen Leiters eines MVZ´s ähnlich der des Vorstands einer Aktiengesellschaft – Haftung des Vorstands nach § 93 AktG -, in der Regel verknüpft mit deutlich höheren Einkünften. Hinzu kommen auch Praktikabilitätserwägungen bei der Prüfung fehlerhafter Abrechnungen.
Die Folgen
In Verträgen für den
(zahn)ärztlichen Leiter wird häufig am Rande geregelt, dass der (zahn)ärztliche
Leiter für das medizinische Qualitätsmanagement der Patientenversorgung und
Patientenbetreuung verantwortlich sei, er zudem die Richtlinienkompetenz für
die medizinischen Aus- und Fortbildungsinhalte für nichtärztliches Personal
besitze sowie für die Qualitätssicherung und Hygiene des MVZ sowie für die
Einhaltung der Fortbildungsverpflichtung der angestellten (Zahn)Ärzte im Sinne
des § 95d Absatz 5 SGB V verantwortlich sei. Auch die pauschale Regelung, dass
er Dritten gegenüber für die Einhaltung vertrags(zahn)arztrechtlicher Vorgaben
einzustehen habe, ist in der Regel zu finden.
Es zeigt sich, dass der (zahn)ärztliche Leiter gehalten ist und in der Lage sein muss, diese recht umfangreichen Aufgaben, verbunden mit den dargestellten Verantwortlichkeiten, auch tatsächlich zu erfüllen, dies neben seiner med. Arbeit und abgegolten durch ein passendes Gehalt.
Legitim ist es auch, darüber nachzudenken, den (zahn)ärztlichen Leiter jedenfalls im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, von Kosten und Schaden freizustellen, die ihn im Falle einer Inanspruchnahme in Bezug auf die Tätigkeit als Leiter, soweit rechtlich zulässig, von Seiten Dritter entstehen.